Engpass

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Engpass

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Veröffentlicht von Christian Stelzner in OBouldering · 24 Februar 2018
Engpass



„Ihre Hüfte ist leider schrott!“
Das war die ehrliche Diagnose des Oberarztes im Uniklinikum Dresden, in dem ich mich aufgrund von neuerdings auftretenden Hüftschmerzen untersuchen lassen hatte. Durch ein unbemerktes Impingement-Syndrom war über Jahre hinweg mein Knorpel derart zerstört worden, dass nun kaum noch welcher übrig ist.
Mir wurde angeboten den Knochenüberstand am Oberschenkelkopf durch eine OP entfernen zu lassen, um wenigstens weiteren Schaden einzudämmen. Da es nichts mehr zu verlieren gab, stimmte ich zu. Hätte man diese OP schon vor einigen Jahren durchgeführt, wäre alles nicht so schlimm geworden... Hätte.... wäre....

Die Ärzte rieten mir davon ab, meiner Hüfte weiterhin größere Belastungen zuzumuten. Und wenn ich ausnahmsweise mal auf meinen Körper hörte, war der eigentlich gleicher Meinung. Bouldern, Klettern, selbst weitere Strecken im Gelände laufen, das alles sollte ich von jetzt an am Besten überhaupt nicht mehr machen. Die Motivation weiter zu trainieren war auf der Stelle so gut wie nicht mehr vorhanden.
„Wofür trainieren, wenn ich eh nicht mehr an den Fels gehen kann?“

Ich entschied mich, vor der OP noch einen letzten Boulder zu machen. Im Oktober 2017 versuchte ich erstmals die Züge von „Engpass“. Noch fühlte ich mich topfit und die Bewegungen erwiesen sich auch als relativ hüftschonend. Ich war erstaunt, dass alle Einzelzüge innerhalb von kurzer Zeit möglich waren, immerhin war Engpass mein bis dahin schwierigstes Projekt. Ich erkannte aber auch, dass mein größtes Problem an diesem Boulder wohl meine Haut sein würde:
Schon nach einer halben Stunde projektieren war mein Zeigefinger das erste Mal offen.

Das bedeutete erst mal eine Woche Pause, was aber kein Problem war, denn bis zur OP hatte ich ja noch viel Zeit... Nur leider wiederholte sich dieses Szenario immer und immer wieder! An vielen Tagen hatte ich nur einen einzigenVersuch und dann war die Haut am Finger schon wieder durch. Im Dezember holte ich mir einen Cut, den man schon fast nicht mehr als Cut bezeichnen konnte. Wir überlegten ob man ihn nähen lassen sollte, entschieden uns aber dagegen. Noch ein, zwei Millimeter tiefer und die Fingerkuppe wäre ab gewesen...
Das führte wieder zu fast drei Wochen Zwangs-Pause. So langsam rückte mein OP-Termin am 23.01. näher.

Nach abgeschlossener Heilung endlich hochmotiviert zum nächsten Versuch  - leider endete dieser ähnlich. Dieses Mal rutschte ich von der Schlüsselleiste ab und zog mir die komplette Hornhaut von der Fingerkuppe. Noch nie hatte ich einen Boulder projektiert, bei dem die Versuche so limitiert waren. Ich hatte an den meisten Tagen wirklich nur einen Versuch und wenn es richtig schlecht lief sogar nur einen halben...  ;o)
Aber unablässig stapfte ich mit meinen Stöcken einmal die Woche ins Bahratal und versuchte mich am Engpass. Nur musste ich mir irgendwann eingestehen, dass man meinen Zustand nach drei Monaten ohne Training nicht mehr als „Fit“ bezeichnen konnte. Ich entschloss mich ab Weihnachten das Hangboard wieder rauszuholen und fühlte mich recht schnell etwas weniger lasch.

Genau eine Woche vor der OP kam dann meine letzte große Chance. Das Wetter war perfekt: 0°C, ein stürmischer Wind und Sonne.
Im ersten Versuch konnte ich die Leiste, die mich so oft meine Haut gekostet hatte, festhalten und weiter greifen. Doch die nächste Leiste erwischte ich nicht richtig und fiel ab. Der Blick ging natürlich gleich in Richtung Finger - ein wenig offen aber ein Versuch musste noch gehen! Der letzte Versuch, in dem dann endlich alles gepasst hat.
Verdammt „Eng“ aber es hat ge“pass“t!

Das schönste Gefühl dabei war es zu sehen, wie sich alle, die das eine oder andere Mal beim projektieren dabei waren , mit mir gefreut haben.

Jetzt ist die OP schon zwei Wochen her und bald beginnt die Reha. Ich bin guter Hoffnung, dass es wenigstens ein bisschen besser wird, aber das braucht wohl Zeit...
Und in ein paar Jahren gibt es dann Kunstgelenke, mit denen ich über'm Ohr antreten kann.
In diesem Sinne heißt es warten, hoffen und schon mal prophylaktisch trainieren...

Christian Stelzner, 24.02.2018



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